Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Grundsätzliche Fragen zum Referendariat können hier gestellt werden
André aus E.
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Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von André aus E. »

Hallo liebe Mitforisten,

anlässlich der personellen Entwicklung haben wir gestern im Kollegium darüber diskutiert, ob und inwiefern der Beruf "Grundschllehrer/in" überhaupt noch attraktiv ist.

Natürlich muss man es differenziert betrachten. Tatsache ist jedoch auch...

...die enorm hohe Belastung durch Inklusion, Intergration, Differenzierung, viele Elterngespräche, hohe Unterrichtsverpflichtung und zunehmende Verwaltungsaufgaben.

... ein vergleichsweise geringes Gehalt bei hoher Qualifikation (Master u. 2. Staatsex.).

... die geringe bis nicht vorhandene Aufstiegsmöglichkeit.

... die geringe gesellschaftliche Anerkennung.

Liebe Grundschulreferendar/innen und -lehrer/innen, wie ist eure Meinung dazu?

Viele Grüße,
André

dreistein
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Registriert: 02.06.2016, 23:38:49

Re: Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von dreistein »

Keiner dieser Punkte ist grundschulspezifisch. Mit der gleichen Begründung könnte man z. B. fragen, wer heutzutage noch Gymnasiallehrer werden möchte:

... von Inklusion sind die Gymnasien genauso betroffen, Behinderungen verschwinden ja schließlich nicht beim Übergang auf die weiterführenden Schulen. Zur hohen Unterrichtsverpflichtung, Verwaltungsaufgaben etc. sei gesagt, dass laut der jüngst veröffentlichten Arbeitszeitstudie der GEW (http://arbeitszeitstudie.gew-nds.de/) an keiner Schulart mehr Überstunden geschoben werden als an den Gymnasien.

... die Bezüge eines Studienrats mögen höher sein als die eines Grundschullehrers, aber von "angemessener" oder "üppiger" Bezahlung (d. h konkurrenzfähig mit dem Gehalt, das ein gut ausgebildeter und engagierter Mensch in anderen Berufsfeldern verdienen kann, sofern er die Branche geschickt wählt) kann auch hier keine Rede sein.

... die Aufstiegsmöglichkeiten am Gymnasium sehen so aus, dass ein Studienrat mittleren Alters durch die Beförderung zum OStR ein monatliches Netto-Plus von ca. 70 Euro einstreicht, dafür aber bedeutend mehr Stunden arbeiten muss, weil die mit der Funktionsstelle verbundenen Zusatzaufgaben eben genau das sind: Zusatzaufgaben. In den höheren Besoldungsstufen wird die Zahl der Stellenangebote ziemlich dünn, z. B. kommt ein OStD auf knapp 100 Lehrer.

... das Ansehen von Grundschullehrern ist höher als das von Lehrern anderer Schularten. Beispielsweise ergab eine Umfrage des Beamtenbundes (http://www.news4teachers.de/2016/08/bea ... gestiegen/), dass 70 % aller Befragten Lehrern ein (sehr) hohes Ansehen zuschreiben, jedoch nur 50 % dies von den Studienräten sagen.

Unterm Strich wählt man den Lehrerberuf eher aus Idealismus und nicht wegen der lockeren Arbeitsbedingungen, der guten Bezahlung, der Karrieremöglichkeiten oder der öffentlichen Anerkennung. Gleiches könnte man auch von Pflegeberufen sagen. Ist aber eben nichts Neues.

Kodi
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Re: Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von Kodi »

Die Antwort lautet vermutlich, weil die Leute Interesse haben Kinder im Grundschulalter zu unterrichten. Am Geld liegt es sicher nicht, ich denke da würde jeder lieber A13Z statt A12 nehmen.
Für MINT'ler stellt sich eine analoge Frage bezüglich des gesamten Schuldiensts schon seit Jahren.

heartbeat
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Re: Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von heartbeat »

Der erste Punkt ist Abiturienten/Lehramtsstudenten vielleicht gar nicht so sehr bewusst, bzw. man kann sich nicht so recht vorstellen, was das in der Praxis für einen selbst bedeutet.

Die anderen Punkte sind ja nicht neu - und trotzdem gab es immer verhältnismäßig viele Abiturienten, die Grundschullehrer/in werden wollten.

dreistein
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Re: Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von dreistein »

Ach ja, noch ein Grund: Nach der ifo-Studie von 2009 haben angehende Grund-, Haupt- und Realschullehrer unterdurchschnittliche Abiturnoten. Vielleicht wählen sie diesen Beruf, weil sie weniger Aspirationen haben als der durchschnittliche Abiturient oder weil sie befürchten, dass sie in anderen Berufen nicht erfolgreich sein werden.

Piccola
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Re: Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von Piccola »

An den Gymnasien sieht es ähnlich aus.
Hinzu kommt, dass man durch die Kürzungen von Stunden mehr Klassen hat als noch vor 10 Jahren.
Bei bestimmten Fächerkombinationen oder je nach Schule haben Lehrer dann ein reduziertes Deputat und verdienen weniger Geld bei teilweise genauso viel Arbeit wie bei einem vollen Deputat.
Und einige mit vollem Deputat arbeiten aufgrund der zusätzlichen Klassen mehr als voll, usw.
Der Vertretungsnotstand an Gymnasien mit einem kleineren Kollegium ist immer sehr hoch.
Bei uns z.B. übernehmen jedes Schuljahr (ja, leider jedes) sehr viele Kollegen Klassen oder Stunden. Ich hatte schon 7 Vertretungsstunden in einer Woche. Bis heute durfte ich meine über 60 Vertretungsstunden nicht einreichen. Angeblich wisse man noch nicht, wie diese vergütet werden sollen... So geht es aber allen.
In Ba-Wü darf man diese ja nur noch einmal jährlich einreichen. Abgezogen werden weiterhin Ausflüge, Klassenfahrten und die Zeit, in der die Abiturienten weg sind.
Dass man mit einer Abiklasse schon viel mehr Arbeit hat mit den Prüfungen, Korrekturen, Vorbereitung, wird nicht berücksichtigt. Aber bei uns hat noch niemand Geld für die Vertretungsstunden (und ich bin nicht die einzige mit über 60) erhalten. Usw., usw.
Ich glaube weiterhin, dass man Idealist sein sollte, um in dem Beruf, wie er heute ist, glücklich zu werden.
Ich kenne ein paar Grundschullehrer, die aufgrund der vom Threadstarter genannten Missstände verzweifeln. Sie haben mir von ihrem Berufsalltag erzählt.
Eine von ihnen ist derzeit auf der Suche nach einer beruflichen Alternative.
Ich denke, wir sitzen alle so ziemlich im gleichen Boot -auch wenn wir im Grunde unterschiedliche Berufe haben, die alle die Bezeichnung "Lehrer" tragen-.
Was soll's.
Sämtliche Aktionen zusammen mit dem Philologenverband wurden abgeschmettert. Immerhin gab es mal hier, mal da in der Vergangenheit kleine Erfolge zu verzeichnen.
Die Schüler sind auch am Gymnasium oft sehr schwierig in der heutigen Zeit und besonders an Stadtschulen. Individuelle Förderung wird verlangt. Je nach Fächern und Deputat kommen auf einen Lehrer 180-fast 300 Schüler.
Und als Hauptfachlehrer hat man in allen Klassen ständig Gespräche mit Eltern, Schülern, Klinikschulen, Psychologen, Jugendamt (HPGs), etc.
Aber wem erzähle ich das, Ihr kennt das alles ja selbst.
Am Besten, man ärgert sich nicht über die neuen Missstände der heutigen Zeit.
Sonst geht man emotional zugrunde.
Wenn man sich auf die positiven Seiten des Berufs konzentriert (und da gibt es viele: Nette Kollegen, nette Schüler / Eltern, Aktionstage (Tanz, Sport, Kulturelles), Ausflüge, Klassenfahrten, Studienfahrten, etc.), kann man einigermaßen mit den teilweise untragbaren Umständen / Arbeitsbedingungen umgehen.
Mens sana in corpore sano :-)

MarlboroMan84
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Registriert: 03.01.2015, 13:59:37

Re: Wer will heute noch Grundschullehrer/in werden?

Beitrag von MarlboroMan84 »

dreistein hat geschrieben:Ach ja, noch ein Grund: Nach der ifo-Studie von 2009 haben angehende Grund-, Haupt- und Realschullehrer unterdurchschnittliche Abiturnoten. Vielleicht wählen sie diesen Beruf, weil sie weniger Aspirationen haben als der durchschnittliche Abiturient oder weil sie befürchten, dass sie in anderen Berufen nicht erfolgreich sein werden.

Die NCs bei HRGE liegen aber deutlich niedriger als bei GyGe weil sich hier auch viel weniger Studenten für bewerben, der Vergleich ist nicht wirklich aussagekräftig.

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