Keine Verbeamtung

Cassandra
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Keine Verbeamtung

Beitrag von Cassandra »

Hallo,
ich muss mich jetzt irgendwie mal "aussprechen", in der Hoffnung, jemand denkt ähnlich wie ich.
Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass ich überhaupt nicht verbeamtet werden will.
Ich empfinde es nicht als Sicherheit oder Schutz, den der Staat da für mich übernimmt. Viel mehr empfinde ich es als Gängelung und als ob man mich als Maschine sieht, die zu funktionieren und v.a. zu parieren hat.
Sicherlich ist das Ref nun nicht der Anhaltspunkt, um darüber zu entscheiden, denn nun trifft es einen noch härter.
Doch irgendwie passt meine Lebensplanung nicht wirklich mit diesem System zusammen. Ich möchte nicht immer eine Erlaubnis oder Beurlaubung bekommen, wenn ich mal was anderes machen möchte. Ich brauch keine 800€ mehr im Monat, um glücklich zu sein. Sie sind ein netter Beigeschmack - doch was hilft es mir, wenn ich dafür in Hinterdupfing sitze, weg von der Familie und ich auch nach zig Versetzungsanträgen nicht dort arbeiten und leben kann, wo ich es möchte.
Ich bin gern Lehrer und mir macht der Job Spaß, aber ich will das nicht noch 45 Jahre machen. Ich möchte noch andere Dinge in meinem Leben tun - andere Schulformen/ -arten kennen lernen, vielleicht ins Ausland oder auch innerhalb Deutschlands Erfahrungen sammeln, die nun auch nicht direkt mit Schule zu tun haben.
Irgendwie hab ich das Gefühl, dass mich das alles so wahnsinnig einschränkt und einsperrt.

Gibt es jemanden, der ähnlich denkt? Habe ich eine falsche Vorstellung?
☼ Fertig seit 09/09 ☼

Lysander
Moderator
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Re: Keine Verbeamtung

Beitrag von Lysander »

Cassandra hat geschrieben: Gibt es jemanden, der ähnlich denkt? Habe ich eine falsche Vorstellung?
Letzteres trifft m.E. zu.

Als Angestellter hast Du im Grunde denselben "Ärger" am Hals, musst dieselbe Arbeit tun, hast genauso viel oder genauso wenig Lobby und Anerkennung in der Gesellschaft.

Insofern ist das weniger eine Entscheidung für oder gegen den Beamtenstatus sondern für oder gegen den Lehrerberuf.

Das viel gescholtene System ist mitunter zum Kotzen - keine Frage. Es lässt andererseits aber zumindest meiner Erfahrung nach ausreichend Freiräume, innerhalb derer man sich bewegen kann und auch noch Luft zum Atmen hat.

Ins Ausland etc. kannst Du trotzdem noch gehen. Zum einen gibt es in NRW beispielsweise das so genannte "Sabbatjahr", darüber hinaus gibt es auch noch das Auslandsschulwesen.

Das mit dem Geld und dem Glück ist so eine Sache. Ganz ehrlich: Für 1700 Euro netto würde ich diesen Beruf nicht machen wollen. Da würde ich mir ggf. einen Beruf suchen, bei dem ich nur 1500 Euro oder so verdiene, aber bei dem ich wesentlich weniger Stress und im Gegenzug vielleicht auch einmal ein wenig Anerkennung bekomme.

Nun, ich habe mich dafür entschieden - mitunter kotzt es mich auch an, so zum Beispiel im Moment, weil Zentralabitur und ZP10 sich weitgehend hier überschneiden und ich nächste Woche jetzt noch zwei Abi-Bestehensprüfungen habe.

Zu demjenigen, der gängelt oder Gehorsam einfordert, gehört auch immer jemand, der sich gängeln lässt und blind gehorcht.
Es gibt ein Mittelding, was ich "aufgeklärter" oder "reflektierter Dienst" nennen würde. Ich diene dem Land, aber bleibe dabei immer noch ich selbst und behalte mein eigenständiges Denken. Ferner sorge ich dafür (vielleicht nicht gerade im Moment, aber generell schon), dass ich auch noch ein eigenes, vom Beruf unabhängiges Leben habe.

Gruß
Lysander

gosford
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Beitrag von gosford »

Ich würde mich eher Cassandra anschließen.

"Das viel gescholtene System ist mitunter zum Kotzen - keine Frage. Es lässt andererseits aber zumindest meiner Erfahrung nach ausreichend Freiräume, innerhalb derer man sich bewegen kann und auch noch Luft zum Atmen hat."

Was sind denn das für Freiräume?
Unterrichts/Schulimmanent? D.h. welche Literatur lese ich in dieser oder jener Klasse, mache ich lieber Frontalunterricht oder Gruppenarbeit?

Ich behaupte, diese Freiräume sind nur Freiräume, wenn sie entweder unterrichtsimmanent sind oder wenn sie sich an den hegemonialen und teilweise auch repressiven Macht- und Herrschaftsstrukturen orientieren, die den
Schuldienst leider durchziehen.
Anders sieht es wohl aus mit einem weiten politischen Freiraumbegriff (gib das mal bei Google ein!) zu persönlichem kritischem, emanzipatorischen Denken und Handeln, das antisexistisch, antirassistisch, antihierarchisch, evtl. sogar antikapitalistisch fundiert ist.

"Als Angestellter hast Du im Grunde denselben "Ärger" am Hals, musst dieselbe Arbeit tun, hast genauso viel oder genauso wenig Lobby und Anerkennung in der Gesellschaft."


Als Angestellter bist du z.B. nicht verpflichtet, außerhalb deiner Arbeit/deines Dienstes dem Ansehen deines Berufs dich entsprechend zu verhalten...
Wenn ich meinen Job als Angestellter normal/gut mache, geht es den Arbeitgeber so gut wie nichts an, was ich im Privaten mache...

Spöttisch: Solange ich als Angestellter meinen Job gut mache, kann ich mich am Wochenende auf Partys abschießen, kann ich auf Spontandemos laufen oder zivilen Ungehorsam ausüben.

Keine dieser Gründe spricht dagegen, Lehrer zu werden.
Im Gegenteil brauchen gerade auch Menschen mit einem Wunsch nach persönlichem Freiraum keine "Angst" davor haben, Lehrer_innen zu werden.
Ich fühle mich, und da geht es mir wohl ähnlich wie Cassandra, einfach freier und besser, wenn ich nicht in einem Käfig, einem zugegeben goldenen - gefangen bin, wobei dieses Gefühl auch aus einer politischen Einstellung resultiert und der "Dienst"-Begriff so heikel wie widersprüchlich ist und ich mich erschrecke, wie unkritisch und unreflektiert einige Lehrer_innen ihre Arbeit als "Dienst" bezeichnen...(Dienst am Land? An den Schülern? Als Vollstrecker eines konstruierten staatlichen Moral- und Ordnungsgedankens?)

Nebenbei: Als Beamter werden z.B. Arbeitszeiten / Beihilfe etc. per Gesetz festgelegt...Bei Angestellten ist dies eine Sache von Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften...
Ein Grund, weshalb z.B. in Berlin die angestellten Lehrer_innen weniger arbeiten als die Beamt_innen.

gosford

Herbie
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Beitrag von Herbie »

Ich komme immer mehr zu dem Schluß, daß ich überhaupt nicht verbeamtet werden will.
Ich empfinde es nicht als Sicherheit oder Schutz, den der Staat da für mich übernimmt. Viel mehr empfinde ich es als Gängelung und als ob man mich als Maschine sieht, die zu funktionieren und v.a. zu parieren hat.
Das kann man so sehen. Die Frage ist aber, ob die Sache bei Angestellten soviel anders ist. Wenn ich die angestellten und die beamteten Lehrer in unserem Kollegium vor Augen habe, dann sehe ich zunächst keinen entscheidenden Unterschied. Der Status ist ihnen nicht auf die Stirn gedruckt. Wenn ich die einen als „funktionierende Rädchen“ bezeichnen sollte, würde ich das bei den anderen auch tun. Ich rede nicht von der Theorie, sondern von der täglichen Praxis.

Man kann aber auch mal auf andere Berufsgruppen abheben. Ist ein Kassierer, der – als Angestellter – bei Lidl an der Kasse sitzt, etwas anderes als ein funktionierendes Rädchen?

Mit Verlaub, aber mir erscheint diese Diskussion ziemlich theoretisch bzw. ideologisch. Man kann fragen,ob Lehrer einen Beamtenstatus unbedingt brauchen und ob der hergebrachte Beamtenstatus überhaupt noch zeitgemäß ist, aber sonderlich eingeengt oder gegängelt fühle ich mich als beamteter Lehrer nicht.
Gruß von [color=#008000][b][i]Herbie[/i][/b][/color]

Pernod76
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Beitrag von Pernod76 »

@Cassandra
Hattest du nicht letztens noch relativ laut rumgetönt, dass es dir ziemlich egal ist, wenn du weg von deiner Familie (vielmehr Freund, glaube ich) bist und dass wir froh sein sollen, wenn wir einen Job haben?!?

Falls ich mich geirrt haben sollte, sorry. Falls nicht, schön, dass du jetzt anders denkst :)

Rezeptpflichtig

Beitrag von Rezeptpflichtig »

Ich bin da zwiegespalten.

Zum einen sehe ich es ein bisschen wie Cassandra. Man ist trotz des ganzen "Ärgers", den man genauso hat wie ein Beamter, irgendwie doch ein wenig freier.
Andererseits: wenn ich auf meine Gehaltsabrechnung schaue (TVöD), dann freue ich mich darauf, bald verbeamtet zu werden. Das Nettogehalt eines angestellten Lehrers, mit allen Beiträgen zur Sozial- und Rentenversicherung, wäre mir dauerhaft zu niedrig. Momentan arbeite ich, alles zusammengerechnet, gut und gerne zwischen 55 und 60 Stunden pro Woche (neuer Schultyp, neuer Stoff, erste volle Stelle nach dem Ref...).
Meine Meinung: für diese Bezahlung lohnt sich das dauerhaft nicht, beziehungsweise _ich_ würde es dauerhaft nicht machen wollen,vor allem wenn man sich anschaut, wie sich das Gehalt im TVöD mit zunehmenden Dienstjahren entwickelt. Wäre die Bezahlung höher, würde ich allerdings wohl auch keinen gesteigerten Wert auf eine Verbeamtung legen.

LG
Rezeptpflichtig

Cassandra
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Beitrag von Cassandra »

Pernod76 hat geschrieben:@Cassandra
Hattest du nicht letztens noch relativ laut rumgetönt, dass es dir ziemlich egal ist, wenn du weg von deiner Familie (vielmehr Freund, glaube ich) bist und dass wir froh sein sollen, wenn wir einen Job haben?!?
Also dass es mir egal ist, weg zu kommen, hab ich garantiert nie gesagt (siehe andere Threads von mir). Ich denke, du meinst meine Äußerung, dass man seinen Job nach Leistung bekommen sollte und nicht nach sozialem Stand, z.B. Ehe, oder? Nun, ich sehe das nach wie vor so. Wer eine Stelle beim Staat möchte (um das ging es ja in diesem Thread) und sich durch Ehe Vorteile erhofft, der soll dann auch froh sein, wenn er eine Stelle beim Staat bekommt, auch wenn sie weit weg ist. Er wollte es ja so.
Ich für mich persönlich möchte es nicht und kann auch schon aus dem Grund nichts damit anfangen, wo es nicht um mich als Person und um meine Qualifikation als Lehrer geht, sondern auch ob ich verheiratet bin oder nicht. Das geht in erster Linie nur mich was an und sonst niemanden. In der freien Wirtschaft ist es dem Chef auch schnuppe, ob man das ist oder nicht.

@ all:
Als Angestellter bist du z.B. nicht verpflichtet, außerhalb deiner Arbeit/deines Dienstes dem Ansehen deines Berufs dich entsprechend zu verhalten...
Wenn ich meinen Job als Angestellter normal/gut mache, geht es den Arbeitgeber so gut wie nichts an, was ich im Privaten mache...

Spöttisch: Solange ich als Angestellter meinen Job gut mache, kann ich mich am Wochenende auf Partys abschießen, kann ich auf Spontandemos laufen oder zivilen Ungehorsam ausüben.
Genau das ist auch ein Punkt, der mich aufregt. Und dazu spanne ich auch wieder den Bogen zu der Anspielung von Pernod: Uns wurde im Seminar nahe gelegt, unsere Partnerschaften doch bitte zu legalisieren, denn als Beamter müsse man eben die Ehe als eines der höchsten Güter aufrecht erhalten und zeigen, dass man in liebevoller Ehe lebt, etc. Das geht für mich einfach zu weit - ICH entscheide, ob ich heiraten und wann ich das tue und nicht mein Vorgesetzter.
☼ Fertig seit 09/09 ☼

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