Hallo.
Herbie hat geschrieben:'n Abend!
Am Gymnasium nimmt die Zahl der Fächer stetig zu: Es gibt mehr Fremdsprachen, neue Fächer wie Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik u.v.m. Zum Teil werden die Stundenpläne auch dichter durch den Einzug des achtjährigen Gymnasiums. Man versucht ja schließlich, einen Großteil der bisherigen Inhalte auf acht statt neun Jahre zu verteilen.
Hier muß man ganz klar sagen, das Gymnasium hat sich seiner Kursstruktur als wenig erfolgreich erwiesen.
Nur als andere Alternative: Mein Onkel hat zu DDR-Zeiten Schiffsmaschinenbau studiert. Er hatte die zehntklassige allgemeinbildende Standardschule besucht (nannte sich POS - polytechnische Oberschule) und *durfte* dann auf das Gymnasium (EOS - Erweiterte Oberschule) - nach entsprechendem Notenschnitt und Beurteilung/Befürwortung durch den Klassenlehrer.
Er hat dann das Abitur erworben mit Berufsausbildung. Das war an der Tagesordnung. Die meisten Elektrotechnikingenieure (also meine Zunft) haben während der Penne bspw. Elektroinstallateur gelernt.
EDIT: Was natürlich für praktische Fertigkeiten und Fähigkeiten enorme Vorteile bringt (speziell für Ingenieure). Heute sieht das ganz anders aus.
END
Dazu kam noch in der POS, daß die Schüler regelmäßig in die Industrie, d.h. in die Produktion, geschickt wurden, um dort mitzuhelfen.
Das zeigt sich deutlich bei mir und meinen zwei älteren Brüdern. Während ich handwerklich wenig kann, können die echt viel.
Die sind eben mit solchen praktischen Dingen groß geworden. An Motorblöcken gearbeitet, an Pianos mitgebaut, und was weiß ich was.
Mein Onkel mußte klassisches Abitur ablegen: keine Kurswahl, Prüfung in allen Fächern.
Was ist heute? Es sitzen mit mir Leute im Werkstoffpraktikum, die noch nie etwas in Chemie zum Orbitalmodell gehört haben, weil? - dies und das abgewählt et cetera et cetera.
Dieses zu stark differenzierende Abitur heute hat zum Einreißen gewisser allgemeinbildender Grundlagen geführt.
Ich wüßte auch keine Musterlösung, um der wachsenden Zahl Fächer gerecht werden zu können. Eine gute Lösung wäre aber auf jeden Fall, Kenntnisse in Fächern wie Wirtschaft dann zu vermitteln, wenn sie gebraucht werden/ anfallen. Sprich, man schiebt diese Kenntnisse in andere Schulformen oder in die Ausbildung oder ins Studium ab.
Ich hatte ja nie einen Werdegang über das Regelgymnasium, sondern besuchte erst die Realschule (technisches Profil) und dann ein allgemeinbildendes, technisches Gymnasium.
Erst dort hatte ich bspw. zum ersten Mal Ethik oder Wirtschaft.
Dafür kein Geographie mehr (die Realschulkenntnisse sind ja auch mehr als ausreichend, zumindest, was ich noch so gelernt habe in Geo) und Gesellschaftskunde mit Geschichte in einem Fach (sehr, sehr sinnvoll!!). Nur als Einblick.
Und? Ich lebe auch noch. Sicherlich, manchmal 10 Stunden (7.00 Uhr bis 16.20 Uhr) plus 3 Stunden Busfahrt. Da war man platt 4:15 aufstehen, 5.00 Uhr mit dem Bus los, und abends erst 18.00 Uhr zuhause. Aber es war ja nicht jeder Tag so und in dem Alter sollte sich der Schalter sowieso umgelegt haben, sprich, daß der Junior auch weiß, was er will, wohin er will und daß man den Arsch hochkriegen muß.
Im Endeffekt hat sich dieser Werdegang sogar als deutlich besser entpuppt im Vgl. zum stumpfen Normalgymnasium Klasse 5 bis 12.
Herbie hat geschrieben:
So bleibt es nicht aus, daß Schüler und Eltern über volle Stundenpläne klagen. Selbst die Idee der Ganztagsschule löst dieses Problem nicht. Denn die Anhänger der Ganztagsschule denken zwar an eine Betreuung, die sich nicht nur auf den Vormittag beschränkt, sondern bis zum frühen Abend erstreckt, aber sie denken dabei – zu Recht – nicht an Marathonunterricht.
Ich nehme stillschweigend an, daß Du mit Ganztagsschule fälschlicherweise nachmittäglichen Hort meinst.
Du vermengst zwei Sachen - Nachmittagsbetreuung in den unteren Klassen und längerer Unterricht in den höheren Klassen.
Bei uns war das 1989/90 bis etwas 1994/95 so: Unterrichtsbeginn 7.30 Uhr, Untericht bis Mittag oder früher Nachmittag. Unter Aufsicht Hausaufgaben erledigen (man durfte erst spielen, nachdem alles getan war) und dann bis 16.00/16.30 Uhr Hort eben (spielen, ...).
Man braucht doch diese Art von Betreuung nicht für höhere Klassenstufen. Dort muß sich es einfach eingeschliffen haben, daß man eben am Tag 'mal eine Stunde quer durch die Bank lernt, übt oder was auch immer, seine Schultasche packt und die Hausaufgaben erledigt.
Nichts da mit Marathonunterricht - den sollte es in niedrigen Klassenstufen in der Form gar nicht geben.
Ganztagsschulen im eigentlichen Wort, also Betreuung bis spät abends ist völlig unnötig.
In den 70er Jahren gab es sogar einmal Modellversuche in dem Land, wo sich Finnland beim Bildungssystem bedient hat, bei dem herausgearbeitet wurde, daß Ganztagsschulen im eigentlichen Sinne nur Unmengen Geld und Aufwand fordern, jedoch kein Plus an Bildung erbringen. Im Gegenteil, man stellte sogar Auflösungserscheinungen in den Familien usw. fest.
Herbie hat geschrieben:
Die Vielfalt an Fächern und Profilen bringt eben gewisse Probleme mit sich. Und so stellt sich in den nächsten Jahren immer wieder die Frage, welche Fächer in welcher Altersstufe in welchem Umfang unterrichtet werden sollten. Man kann in dieser Hinsicht den Fächern Musik, Bildende Kunst und Sport keine Sonderrolle zuerkennen, sondern muß die Situation im gesamten beurteilen. Eine generelle „Unwichtigkeit“ kann man den genannten Fächern ebensowenig zuschreiben wie jedem anderen Fach.
Dann muß man den Zoo an "Spezialfächern" eben in andere gymnasiale Formen pressen (Wirtschaftsgymnasium, Technikgymnasium) und die Überdifferenzierung abbauen.
Persönlich war ich immer froh, Musik zu haben. Ich denke von mir, daß ich ein sehr unmusikalischer Mensch bin. Ich wurde auf Grund der Kosten nie für Instrumente gefördert. Ich konnte nie gut singen. Dennoch gehört das einfach dazu im Sinne des Anspruchs, daß ein Deutscher schon allseitig kulturell gebildet sein sollte. Sport ist ebenso wichtig. Kürzlich las ich erst Berichte über eine Studie, die festgestellt hat: Bereits eine Stunde Sport pro Woche ist sehr wichtig für den Bewegungsapparat. Empohlen wurden wenigstens zwei. Man muß sich ja nicht grausiges Geräteturnen drunter vorstellen
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...
Mit Kunst ist es ähnlich. Ich kann selbst heute nicht wirklich gut mit Farben, aber vielleicht hat hier jemand schon einmal im Fernsehen BOB ROSS gesehen. Sieht aus, wie frisch von den Hippies gekommen und zaubert in vielen Folgen innerhalb von 30 Minuten ware Wunderwerke an die Leinwand.
Wenn ich dem zusehe, geht mir das Herz auf - total geniale Landschaftsbilder. Selbst auf die Pinselführung und Technik geht er spielerisch ein.
Der Typ hat mich wieder zum Farbenmalen gebracht und nun entdecke ich ab und zu richtig tolle Seiten.
Dagegen konnte ich mit Bleistift schon immer gut kritzeln. Da schadet ein fordernder Kunstunterricht nicht.
Darf man alles keinesfalls abschaffen. Bildung ist in erster Linie keine Ware und man denke sich zum Spaß alle Van Goghs, da Vincis, Bachs, Mozarts, Freddie Mercurys
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weg. Was bleibt dann noch?
Gerade in der schwierigen Phase heute muß an den genannten Fächern festgehalten werden. Ich würde mir sogar noch wünschen, daß hier und da die Noten in den Fächern mehr ins Gewicht fallen (natürlich nicht so, daß man in Schwulitäten kommt). Als Ingenieurstudent weiß man Zeichenfähigkeiten, Vorstellungsvermögen und Verständnis für mechanisch-technische Vorgänge sehr zu schätzen, sind halt nur kein Selbstzweck wie in der Kunst - doch superwertvoll.
Herbie hat geschrieben:
Es wäre zum Beispiel die Frage, ob künftig zahlreiche Nichtkernfächer („Nebenfächer“) z.B. in der Kursstufe verstärkt als Wahlfächer angeboten werden sollten, von denen die Schüler einige – aber nicht alle – auswählen. Nicht etwa, weil es unwichtige Fächer gäbe, sondern weil es manchmal einfach zuviel des Guten gibt.
Führt doch noch eine unnötige Stufe der Differenzierung ein.
Das Abitur ist der höchstqualifizierende allgemeinbildende Abschluß. Das sollte man nicht vergessen - es geht um vertiefte Allgemeinbildung; die Studierfähigkeit ist nur 50%.
Man muß eben sehen, daß man diese und jene Fächer nur klassenstufenweise gibt, siehe Universität. Dann und dann hat man eben zusätzlich ein Jahr Wirtschaft. Oder Technik (tut den normalen Gymlern besonders gut!). Vorzugsweise dann, wenn durch die Fächer der (eigentlich falsch strukturierten) Mittelstufe (5-10) genug Grundlagen gelegt haben, um sie beim Abitur herunterzufahren. Beispiel Chemie. In den Klassen 8 bis 10 lernt man eine Menge Stoff. Schiebt man aus Gründen der Vernunft die Problematik Atommodell komplett in die Gymnasialstufe, kann man dann dort viel ruhiger die ganze Thematik der physikalischen Chemie angehen.
Defacto schlägt man zwei Fliegen: Das BOHRsche Modell wird aus den Köpfen verbannt (es ist nunmal nicht mehr als ein nicht schlüssiger Zwischenschritt zur Quantenmechanik und vermittelt falsche Materievorstellungen) und man kann die etwas knackigeren Sachen, wie Orbitalmodell in das Alter 16 bis 18 schieben. In der Oberstufe braucht man eben bei guter Vorarbeit in Chemie nicht mehr soviel Stunden, um (a) vergleichsweise viel Stoff abzudecken und (b) es ausreichend zu behandeln. Am Ende dann eine Prüfung und fertig. So kann man das andere Fächer übertragen und gewinnt damit die Stunden, die für die Grundlagen der Grundlagen der Grundlagen in ausgewählten Must-have-Fächern von heute (Wirtschaft, ...) flux behandeln zu können.
MfG Robert
EDIT: Ich habe vor einiger Zeit von ähnlichen Überlegungen mit Astronomie gehört (hier in Sachsen). Ist genauso irre, das abschaffen zu wollen.
Fehler beim Tippen seien mir auf Grund der Uhrzeit verziehen, aber heute ist ja Feiertag und man(n) kann ausschlafen.
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