Gefangen im Nirgendwo

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Yelgrun
Beiträge: 34
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Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von Yelgrun »

Tach,

nun ist es schon so weit, mich in einem Forum auskotzen zu müssen - aber vielleicht ist ja jemand in derselben Situation. Nein, es geht nicht direkt um das Referendariat.

Ich stamme aus einer Stadt mit 200.000 Einwohnern und gewinne langsam den Eindruck, bei der Wahl (ich habe mir die Schule selbst aussuchen können) meines Einsatzortes gehörig ins Klo gegriffen zu haben, denn ich sitze sozusagen auf einer Insel. Ich kenne so gut wie niemanden hier, aber das ist eigentlich an sich nicht das Problem, sondern, dass man hier auch niemanden kennenlernen kann. Die Einheimischen sind völlig verschlossen, von sich und ihrer Kackinsel eingenommen und bleiben am liebsten unter sich. Der Horizont der meisten, die ich so erlebt habe, endet buchstäblich an der Küste. Alles, was nicht in der Tourismusbranche verrecken will, verlässt zum größten Teil nach der Schule auch diese Gegend und damit viele, die was im Kopf haben. Übrig bleibt die Spreu: Minderbemittelte Mindestlöhner, Asoziale, Nazis, von der Mentalität her grobschlächtige "Maurertypen" ("Alder! Digger!" usw.), verblödete Neureiche und Rentner. Fremdenfeindlichkeit begegnet einem nahezu jeden Tag. Allerdings ist die nicht auf "Ausländer" beschränkt, sondern auch auf Festlandsleute wie mich bezogen, sobald man durchblicken lässt, man kommt nicht von "hier". Das läuft jetzt schon seit vier Monaten so, dass ich nach Feierabend nach Hause komme, meinen Kram erledige und dann warte, bis es endlich Zeit zum Schlafen ist. Es geht übrigens nicht nur mir so: Eine Kollegin um die 27, die auch erst im Februar an der Schule angefangen hat, hat genau dieselben Probleme und haut jetzt unter anderem deswegen zum Schuljahresende in den Sack - sie geht zurück in ihre Heimat. Eine andere in den 50ern und aus Thüringen steht vor denselben Problemen - hockt bloß allein rum, weil sie als "Fremde" keine Bekanntschaften in ihrem Alter schließen kann. Von einer anderen Schule in der Gegend weiß ich, dass in der Vergangenheit vier Lehrer(innen) ebenfalls deshalb hingeschmissen haben und zusahen, wieder abhauen zu können. Jemanden zum Quatschen habe ich nur im Lehrerzimmer, aber dort bin ich mit 34 mit großem Anstand der jüngste. Die meisten sind Mitte 50. Also da lässt sich auch nichts reißen. Überhaupt: Kollegen als Freunde funktioniert für mich nicht - aus Erfahrung weiß ich, man redet nur über die Arbeit und sowas kann ich nicht gebrauchen.
Wie fühlt man sich denn so dabei? Vor allem habe ich einen Fehler gemacht und bin ohne meine üblichen Vorurteile und ohne mir wie sonst die schlimmsten Erwartungen auszumalen, positiv an diese ganze Sache rangegangen. In die Urlaubsfalle bin ich ohnehin getappt, denn es ist etwas ganz anderes, mal einen oder zwei Tage auf dieser Insel zu verbringen oder hier mehr oder weniger zu leben. Im touristenlosen Winter bin ich auf der Straße regelrecht angestarrt worden, weil ich nicht wie die Leute hier in Jogginghose oder Camp-David-Plunder und solchem Zeug herumlaufe. Das hat übrigens auch meine Partnerin auf Besuch so erlebt - ohne ihr vorher von meinen Eindrücken zu erzählen. Ich habe gedacht, bei meiner doch recht offenen Art hier schnell ein paar Leute auftreiben zu können - aber Pustekuchen. Freitags fahre ich sofort nach Hause und inzwischen habe ich am Sonntag zur Rückfahrt schon einen richtigen Ekel bei dem Gedanken, hier wieder eine Woche allein in meiner Wohnung eingesperrt zu sein. Vielleicht steigere ich mich da auch in was rein, aber so langsam vergeht mir echt alles. Und das wird noch 14 Monate so gehen. Wenn ich "Pech" habe und hier eine Stelle im Anschluss bekommen sollte - denn so ein Wunder: niemand will hier her - wird es noch länger so gehen. Naja, wenigstens habe ich noch meinen Hund.

So. Und nun schütte ich mir wie jeden Abend noch zwei, drei Gläser billigen Blanchet hinter und warte, dass es Zeit zum Schlafen wird.

Danke für's Lesen.

larissa
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Re: Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von larissa »

oh man. das hört sich echt nicht so schön an.

ich habe für das ref auch das Bundesland gewechselt und mir ging ähnlich. mit der dortigen Mentalität bin ich auch nicht klargekommen, ich fand die Leute aber eher verlogen, spießig und scheinheilig. (Bawü, ohne jetzt jemanden angreifen zu wollen ;)


das gute bei der sache: das ref ist begrenzt und danach kann man ja wieder weg, daran hindert dich ja niemand. und wenn deine Partnerin eh woanders lebt (in der Heimat?) hast du ja noch einen Grund mehr. genieße doch so lange das positive an der sache. wenn du von einer Insel sprichst, gibt es ja wahrscheinlich auch strand und meer. das ist ja schonmal nicht sooo übel.

abgesehen davon. ich glaube, dass es überall nette menschen gibt und dass man sich so ein bild auch leicht selbst zusammenschustern kann wenn man ein paar schlechte Erfahrungen gemacht hat und gerade frustriert ist. und besser 1-2 nette Leute zu haben als niemanden.

also kopf hoch und nicht alles schwarz sehen. wenn du jedes we zuhause bist, ist es ja nur halb so schlimm.

*Sissy*
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Re: Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von *Sissy* »

Ab in einen Sportverein mit Dir. Ist eigentlich egal welcher. Hauptsache unter Leute! Du musst den ersten Schritt machen, anders geht es nicht.

Viel Erfolg!

Illi-Noize
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Re: Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von Illi-Noize »

Ich war in meinem Einsatzjahr auch weit weg von daheim ... und habe es mühelos geschafft, ohne Anbindung mir die Zeit zu vertreiben. Ich hatte auch überhaupt nicht das Ziel, da irgendjemanden privat kennenzulernen. Heute - 6 Jahre später - aber ich noch ein wenig Kontakt zu zwei Ex-Kollegen, und zu einer handvoll Schüler. Da trifft man sich ein mal im Jahr.

Was kannst Du tun? Joggen, mal was anschauen (gut, die Insel wird man schnell durchhaben ;-) ), heimwerkeln, programmieren ... es gibt so viele Dinge, die man schön alleine machen kann. Probier doch einfach was aus - und sei es, dass Du irgendein Rezept von Youtube nachkochst oder backst ;-)

Yelgrun
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Re: Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von Yelgrun »

Guten Morgen,

ich bin gar nicht weit weg von zu Hause, 90 Minuten mit dem Zug. Aber man kommt sich hier trotzdem vor, wie auf einem anderen Planeten. Die Ureinwohner würden wohl auch am liebsten ihren eigenen Staat ausrufen - aber natürlich trotzdem weiter die deutschen Sozialleistungen abkassieren. Auch so eine Sache. Strand und Meer locken mich nicht wirklich - das hab ich auch zu Hause alles.
Man sollte ja wirklich meinen, eine Gegend, die nahezu ausschließlich vom Tourismus lebt, müsste eigentlich durch den Umgang mit allen möglichen Leuten von überall her von toleranten Menschen bevölkert sein. Aber das sind zwei getrennte Welten.
Unternommen habe ich ja schon einige Versuche, einen Fuß in die High Society reinzusetzen: Ich habe einen Bekannten, der in höherer Position hier bei der Feuerwehr ist und der sich über die mangelnde Öffentlichkeitsarbeit beklagt hatte. Sagte ich ihm, das wäre doch was für mich. Setze mich wochenlang hin, arbeite Entwürfe und Strukturen aus, sammle Ideen und programmiere sogar eine neue Internetseite, um dann zu erfahren, dass der jetztige "Pressetyp" (ein legasthenischer Fischräucherer...) sich dadurch bei der Projektvorstellung persönlich angegriffen fühlte und überhaupt: "Der ist ja nichtmal von hier!" Beim örtlichen Geschichtsverein hab ich mich umgesehen, um mich vielleicht dort einzubringen. Aber die Mitglieder dort sind ausschließlich über alles meckernde Rentner. Das Sportstudio habe ich mir angeschaut: Rülpsende und gröhlende Ronnys posierend vor Spiegelwänden. Also das, was man auch in den Straßen sieht. Wenn man dort jemanden sieht. Vor Jahren habe ich für meinen damaligen Arbeitgeber 12 Monate in den USA verbracht, dort habe ich sofort Freunde gefunden. Aber die haben wohl auch eine andere Mentalität.
Vielleicht bin ich einfach nicht gemacht für das Kleinstadtleben. Täglich geharkte Sandstreifen zwischen Gehweg und Straße, kronkorkenspuckende Bushaltestellensäufer, Fremdenfeindlichkeit, absolutes Spießertum, jeder kennt hier jeden - wehe, man verscherzt es sich mit einem, da hat man dann gleich seinen ganzen Tross mit gegen sich aufgebracht - und alle zwei Wochen klingelt die Nachbarin, damit ja nicht vergessen wird, dass man doch den Flur noch wischen müsse. Gibt es so sicherlich auch anderswo alles, aber erlebt habe ich sowas noch nie.
Der krasseste Unterschied ist wirklich der Vergleich zwischen den Leuten zu Hause und hier: Ich komme aus einer internationalen Universitätsstadt, dort sieht man kaum Asis. Denn die bleiben in ihren heruntergekommenen Vierteln. Hier allerdings fühlt man sich wie bei "Mitten im Leben", sobald man aus dem Zug aussteigt. Vor einiger Zeit fuhren die 6. Klassen für eine Woche in meine Heimat. Und, wirklich wahr, es haben sich etliche Eltern darüber beschwert. Denn dort gäbe es ja so viele Ausländer und Flüchtlinge (Aha!). Das könne man den Kindern nicht zumuten. Die seien dort ja gar nicht sicher.

Schade, dass ich nicht als Soziologe unterwegs bin.

schiona
Beiträge: 31
Registriert: 17.11.2009, 13:28:55

Re: Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von schiona »

Dein Ross ist aber verdammt hoch...

Du klingst wie ein versnobter Besserwisser und keineswegs tolerant. Der smarte Akademi aus der weltläufigen Universitätsstadt, der den Doofis mal zeigen will, wo der Bartel den Moscht holt. Und mit Kollegen willst du keine Freundschaften, und die anderen sind spießig (sic!) und doof oder beides und auch noch schlecht gekleidet (geht ja gar nicht!).
Aha.
Du scheinst ja auch völlig vorurteilsfrei an die Sache rangegangen zu sein. Oder?
Du bist der, der Vorurteile hat. Du kommst in eine neue Gesellschaft und verdrängst Alteingesessene und verlangst, dass diese jubeln? So wenig Sozialkompetenz kann man doch gar nicht haben! Niemand wird sich an dich anpassen, wenn du neu bist, passt du dich an. Oder du solltest es zumindest.
Es war auch von den Kollegen hier nicht angedacht, dass du mal eben der Feuerwehr ein neues Öffentlichkeitskonzept verpasst, sondern mit anderen zusammen aktiv wirst - gleichgestellt beim Sport (Mannschaft!) oder bei der Feuerwehr mitmachst - ganz unten anfangend, wie man das so macht, wenn man neu ist.
Viele mittelalte und ältere Bürger sind konservativ, die Kehrwoche in Bawü macht noch nicht den Spießer sondern ein deutlich saubereres Straßenbild. Was spricht denn dagegen? Oder wird da, wo du herkommst, nicht geputzt? (Berlin, Kommune?)

Ich bin mir sicher, dass du auch an anderen Orten anecken wirst mit deinen Vorurteilen und deinem Selbstbild - das Studileben ist vorbei, willkommen in der Welt der Erwachsenen.

larissa
Beiträge: 279
Registriert: 14.06.2013, 11:39:30

Re: Gefangen im Nirgendwo

Beitrag von larissa »

nur 90 Minuten weg von der Heimat und deswegen so rumjammern?

da kannst du ja fast mit dem Zug fahren und zurück nach hause ziehen wenns so schlimm ist. würde ich mir fast überlegen wenns dir dort so schlecht geht.


aber mal ganz ehrlich. ich kann verstehen, dass es orte gibt und die dazugehörigen menschen, an denen man sich nicht wohl fühlt. ging mir genauso im ref. habe nur in Großstädten gewohnt und bin dann in eine kleine baden-württembergische Grenzstadt gezogen. es war grausam!!!!!
ich kann mir auch vorstellen, dass an vielerorts in kleineren Städten/ Dörfern die alteingesessenen erstmal distanziert fremden gegenüber sind.

aber ich denke auch,wenn man sich integrieren will, kann man das auch. es dauert halt seine zeit und mn muss auch viel investieren und unvoreingenommen rangehen. bei deiner Haltung kann ich das überhaupt nicht sehen.

oder man beschließt, dass es nichts wird und zieht eine Konsequenz daraus. aber immer nur auf die anderen schimpfen finde ich etwas kindisch.


an vielen orten in Deutschland würde ich persönlich aber auch nicht wohnen wollen und bis deswegen froh, wieder in meiner großstadt zu sein.



@ shiona: auch in Berlin wird geputzt. was soll das?

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